Demokratie auf dem Prüfstand

Interview mit Ständerat Matthias Michel, Zug 

 

Welche Zukunft hat die Demokratie angesichts des Erstarkens autoritärer Mächte?

Überall dort, wo Menschen Demokratie (er)leben, dürften sie von deren Vorzügen überzeugt sein. Paradoxerweise können jedoch auch demokratische Wahlen Präsidenten mit antidemokratischen und autokratischen Tendenzen hervorbringen, wie das Beispiel USA zeigt. Trumps Wahl weckt Ängste um die Demokratie. Aber die Demokratie kann auch dann wieder korrigieren, kann abwählen oder Alternativen wählen, darin liegt ihre Stärke, solange ihre Institutionen funktionieren. Hier ist aber Sorge angezeigt: Noch vor seinem Amtsantritt kündet der Präsident an, bei der Ernennung von Ministern den Senat zu umgehen, dies mittels eines verfassungsmässigen Winkelzugs. Hier sind Gegenkräfte in den USA gefragt!  Sodann glaube ich daran, dass der weltweite Zugang zu Informationen dank Social Media vielen Menschen das Modell von Ländern mit Demokratie und Freiheit aufzeigt. Und dass sich deshalb Demokratien in einer Langzeitbetrachtung bewähren. Trotz zeitweise nun gegenläufiger Tendenzen weltweit verliere ich diesen unerschütterlichen Glauben daran nicht. 

 

Was befördert, was behindert demokratisches Entscheiden nach Ihrer Erfahrung?

Elementar ist die Informations- und Meinungsäusserungsfreiheit, also der Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, Wissen und Meinungen ungehindert auszutauschen. Auch hier können Social Media helfen. Damit verbunden ist aber auch die Gefahr von algorithmischen Verzerrungen und Verfälschungen mit Mitteln der künstlichen Intelligenz (KI). Das Thema ist aber erkannt: So ist eine Studie des Europarats daran, den Einfluss von KI auf die Meinungsäusserungsfreiheit zu analysieren und Chancen und Risiken zu beurteilen. 

 

Sind demokratische Entscheide wirklich immer gute Entscheide?

Ich glaube, dass sorgfältige und gute Prozesse zu guten Resultaten führen. Ein Volksentscheid allein garantiert das jedoch noch nicht. Dass in einer Demokratie gute Entscheide getroffen werden, setzt voraus, dass die Abstimmungsberechtigten ausreichend informiert sind, dass der einer Abstimmung vorangehende politische Prozess transparent war und bereits viele Interessen miteinbezogen hat. Mit diesen Voraussetzungen können fehlerhafte Volksentscheide weitgehend verhindert werden. In der Schweiz haben wir mit der direkten Demokratie ein besonderes Korrektiv: Wenn Entscheide des Parlaments nicht als richtig oder gut empfunden werden, kann mit einem Referendum ein Volksentscheid erzwungen werden.
Bekanntlich können jedoch Mehrheitsentscheide die Grundechte auch gefährden. Entsprechend wichtig ist eine gesellschaftliche Wertehaltung, welche die Menschenwürde und die Grundrechte hochhalten. Und zentral sind schliesslich die Gewählten: Sie sollen sich ihrer integren und am Gemeinwohl orientierten Haltung des Vertrauens, das ihnen durch die Wahl gegeben worden ist, würdig erweisen. 

 

Worin unterscheidet sich Entscheidungspraxis in der Wirtschaft und in der Politik? Was können und sollten beide Seiten voneinander lernen?

Gerade die Schweizer Politik ist stark im Einbezug vieler Meinungen und Interessen; solche Mitwirkungsprozesse sind meines Erachtens auch in der Wirtschaft zunehmend wichtig, um die Akzeptanz zu fördern. Die Politik ihrerseits kann von der Wirtschaft das Prinzip des «trial and error» lernen, also etwas mehr Risikofreude statt Versicherungsmentalität an den Tag legen. So soll nicht gewartet werde, bis ein Gesetz perfekt ist (umso mehr es dann schon wieder den Entwicklungen hinterherhinkt), sondern man kann sich mittels sogenannt experimenteller Gesetzgebung (Pilotversuche, regelungsarme Handlungsräume) an gesetzgeberische Lösungen herantasten. 

 

Interview: Theo Haas