«Wir gehen dorthin, wo niemand hin geht.»

Interview mit Christian Marte SJ

Christian Marte SJ, Dr. rer.soc.oec., ist Rektor des Jesuitenkollegs in Innsbruck, früher Leiter des Kardinal König Hauses in Wien und Stv. Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes.

Christian Marte, Sie stellen das Vertrauen ins Zentrum einer wirksamen Führung. Was erachten Sie als zentral für die Beziehungsgestaltung einer Führungspersönlichkeit in ihrem Unternehmen?

Wenn wir alleine arbeiten, dann ist unsere eigene Arbeitskraft, unser eigener Horizont, dann sind unsere Träume der limitierende Faktor. Wenn wir größer denken wollen, dann müssen wir das gemeinsam mit anderen Menschen tun. In Unternehmen gibt das Arbeitsrecht einen äußeren Rahmen dafür. Aber das reicht nicht, um große Vorhaben anzugehen und Teams auf ein Ziel hin zu führen. Vertrauen ist der Schlüssel: Vertrauen in mich selbst als Führungskraft, Vertrauen in die Menschen, die mit mir auf dem Weg sind. Dahinter steht ein positives Menschenbild, das zuerst auf Potentiale sieht.


Gute, weitsichtige Führung braucht langfristiges Denken. Es geht vielmehr um ein Einstellen auf einen Langstreckenlauf als auf einen Sprint. Was verstehen Sie darunter?

Langstreckenlauf meint, sich trotz dem Druck des Tagesgeschäfts (= Sprint) immer wieder neu auszurichten auf die ursprüngliche Intention des Gründers oder der Gründerin unserer Organisation. Wer mit Forstwirtschaft vertraut ist, der weiß um Langfristigkeit. Bäume brauchen Zeit, um zu wachsen. Viele Unternehmen werden nicht älter als 20 oder 30 Jahre. Dann werden sie übernommen oder liquidiert. Warum ist das so? Es braucht die kritische Nachfrage: Wie bleiben wir relevant? Was müssen wir heute in unserer Führungsverantwortung tun, was noch lange nach uns wirken wird?


Was können wir aus der Führungstradition der Jesuiten lernen, um gut zu entscheiden?

Der Jesuitenorden ist eine der ersten globalen Organisationen der Neuzeit. Er ist bis heute in allen Erdteilen mit vielen Institutionen vertreten. Wie hält das Ganze zusammen? Wie wird an die nächste Generation übergeben? Es gibt viele praktische Regelungen, die bei uns Jesuiten die Reflexion fördern – beim Einzelnen und in den Institutionen. Und es gibt Regeln zum Entscheiden, die uns wirksam sein lassen. Wir gehen dorthin, wo niemand hin geht. Wir gehen dorthin, wo die Not am größten ist. Wir gehen dorthin, wo mehr Frucht zu erwarten ist. In all dem spielen Emotionen eine große Rolle, sie bewegen uns (e-motion). Und eine gute Portion Humor.


Im Dezember 2019 bieten Sie im Lassalle-Institut ein Seminar «Wirksam sein durch Vertrauen» an. Für wen ist dieses Seminar gedacht und was werden die Teilnehmenden für ihren Führungsalltag mitnehmen können?

Führungskräfte aus Unternehmen und Organisationen, die schon mehrere Management-Seminare besucht haben, die werden hier einen zusätzlichen Blickwinkel finden. Und Praxis-Tipps aus dem Jesuitenorden, die analog auch in anderen Bereichen hilfreich sein können. Menschen, die sich und andere besser führen möchten, sind eingeladen. Wer wirksam, relevant und integer sein möchte, wird mit Zuversicht in den eigenen Führungsalltag gehen.