Blankes Vertrauen

Würden Sie Ihren Mitarbeitenden leere Briefvorlagen mit Ihrer Blanko-Unterschrift anvertrauen? Ignatius von Loyola hat genau dies getan. Schon zu Lebzeiten des Ordensgründers im 16. Jahrhundert entwickelte sich der Jesuitenorden zu einem globalen Unternehmen. Ignatius’ Gefährten reisten in alle Welt. Sie mussten tiefgreifende Entscheidungen treffen, ohne die Möglichkeit der kurzfristigen Rücksprache mit dem Chef. Dank der von ihm blanko unterschriebenen Papierbögen konnten sie mit seiner Autorität Urkunden ausstellen.

Kostbare Verantwortung

Das Vertrauen von Ignatius in seine Gefährten war tatsächlich gross, aber nicht blind. Der Aufbruch in andere Regionen der Erde erfolgte nach einer ausgiebigen Bildung in der abendländisch-humanistischen Tradition. Die Gesandten verfügten nicht nur über fundierte Kenntnisse in Natur- und Geisteswissenschaften, Theologie und Philosophie, sondern durchliefen auch eine tiefgreifende Persönlichkeitsentwicklung. Dadurch reifte ein gemeinsames Verständnis der Ziele heran, die die Gemeinschaft tragen. Ignatius gab zudem sehr wohl auch klare, differenzierte Anweisungen für die Erfüllung der Aufgaben, zum Beispiel dazu, wie eine Schule zu gründen ist. Gleichzeitig hatte er die Grösse und das Vertrauen zu sagen: sollte einer von ihnen in einem spezifischen kulturellen Kontext zum Schluss kommen, dass das Gegenteil davon besser ist, dann soll er seinem Gewissen folgen und dies tun.

Doch im Führungsalltag gibt es nicht nur das Wagnis, Vertrauen zu schenken. Grosses Vertrauen geht mit grosser Verantwortung einher, für Vorgesetzte und für Mitarbeitende. Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Führungspersönlichkeiten kennen beide Seiten: Sie müssen Vertrauen schenken und tragen gleichzeitig grosse Verantwortung - für die Mitarbeitenden, für ihr Unternehmen, für nachhaltigen Umgang mit der Natur und den verfügbaren Ressourcen. Was heisst das für mich, der/die so viel Vertrauen entgegengebracht bekommt? Das von aussen an mich herangetragene Zu-Trauen und meine innere Freiheit, so oder anders zu entscheiden, sind nicht billig zu haben: Sie erfordern ehrliches Fragen, Suchen, Ringen und Erwägen der Konsequenzen meiner Entscheidungen.

Leadership heisst in Beziehung treten

Vertrauen und Verantwortung sollen jedoch nicht eine Last werden. Vielmehr geht es beim Wahrnehmen von gesunder Leadership um die Fähigkeit, mit der Welt in «Resonanz zu treten», wie der Soziologe Hartmut Rosa diese Weltbezogenheit nennt. Im Bezug zu dem, was uns als Menschen ausmacht, und im Dialog mit anderen werden wir befähigt, uns auf wertschöpfende Weise von dem betreffen zu lassen, was uns begegnet. Durch Erfahrungen von Verletzlichkeit, in denen die eigene Begrenzung spürbar ist, merken wir, wie vieles für uns unverfügbar und unplanbar ist. Sie lassen uns neue Wirklichkeiten wahrnehmen. Sie machen die Dringlichkeit nach Stille, Achtsamkeit und nach Rückbesinnung auf das, was trägt, um so bewusster. Wir sind eingeladen, als vertrauens-würdige und vertrauens-schenkende Persönlichkeiten weiterzuwachsen.

Vertrauend führen

Vielleicht ist Ihnen gerade vor Augen, wie oft in Ihrem Führungsalltag Vertrauen gefragt ist - in grösseren und in kleineren Angelegenheiten. Unsere Texte, unsere Unterschriften lassen sich heute elektronisch mit Leichtigkeit und per Knopfdruck multiplizieren. Wenn wir Leadership als reflektierte Persönlichkeiten und im gesunden Dialog leben, können wir getrost vertrauen und unser Team, unsere Organisation, unser Unternehmen zielführend weiterbringen.

Gabriela Scherer